Der partizipative Bereich bringt oft brillante Beispiele der gegenseitigen Bereicherung, die auf unseregeschichte.ch im Spiel ist.

Ein aktuelles Beispiel ist ein nicht datiertes und nicht verortetes Dokument, das von Robert Horvay veröffentlicht wurde. Das Foto mit dem Titel La manifestation communiste wurde in der Gruppe der zu identifizierenden Orte geteilt, in der Hoffnung, Informationen zu erhalten, die zum Verständnis des Fotos beitragen könnten.

Eine ausführliche Antwort erhielt er von Fabrice Brandli, und sein Text wurde später von Robert Horvay in die Beschreibung des Dokuments übernommen. Ja, alles deutet darauf hin, dass es sich um eine kommunistische Demonstration handelt. Die Details der Fotografie deuten auf den 1. Mai 1933 hin. Auch der Ort ist eindeutig: am Limmatufer in Zürich, genau auf der Höhe der Hausnummer 108!

Fabrice Brandli erläuterte uns seine Recherche. Der erste Schritt war, die Transparente der Demonstration zu analysieren. Dort ist zu lesen:

"Heraus mit Ernst Thälmann" (zweites Transparent, siehe Dokument in Großformat), also "Mit Ernst Thälmann".

Wer war Ernst Thälmann? Der ehemalige Arbeiter wurde zum Vorsitzenden der Kommunistischen Partei Deutschlands und saß von 1924 bis 1933 im Reichtag. Unter seiner Führung orientierte sich die KP Deutschlands an Moskau und verdoppelte ihre Wählerschaft zwischen 1928 und 1932 von 3,3 auf 6 Millionen Stimmen. Er selbst kandidierte 1928 und 1932 bei den Präsidentschaftswahlen und belegte jedes Mal den dritten Platz.

Am 3. März 1933, etwas mehr als einen Monat nach der Machtübernahme Hitlers, wurde Ernst Thälmann verhaftet. Es begann eine internationale Kampagne für seine Freilassung. Die Veranstaltung scheint also Teil dieser Bewegung zu sein.

Aber wann findet sie statt? Und ist es in der Schweiz oder in Deutschland? Ein Detail an den Jacken der Teilnehmer - ein Abzeichen des 1. Mai - spricht für den 1. Mai 1933. Was den Ort betrifft, so ist das Buch mit dem Titel "Eine Partei unter Einfluss" der Historikerin Brigitte Studer hilfreich, Eine Partei unter Einfluss. Die Kommunistische Partei der Schweiz, eine Sektion der Komintern 1931-1939, hatte vor dem Krieg drei Sektionen in der Deutschschweiz: in Basel, Bern und Zürich.

Eine Analyse der Details des Gebäudes im Hintergrund des Fotos, in diesem Fall des Kirchturms, und eine Google-Bildersuche ergaben, dass es sich um die Liebfrauenkirche in Zürich handelt. Jetzt muss nur noch die Adresse gefunden werden, an der die Veranstaltung stattfindet. Ein virtueller Rundgang durch Zürich mit Google Street (noch...) verfeinert die Suche. Die Fassade eines der Gebäude auf der rechten Seite ist unverändert geblieben. Von dort, gegenüber der Hausnummer 108, wurde das Foto aufgenommen.

Diese geteilten Informationen werden noch durch ein drittes Mitglied von notrehistoire, Pierre Audeoud, ergänzt, der nähere Angaben zu Ernst Thälmann macht.

Es stimmt, dass nicht alle auf unseregeschichte.ch veröffentlichten Dokumente von einer solchen Behandlung profitieren. Aber der Austausch von Wissen, die gegenseitige Bereicherung und die Arbeit jedes Einzelnen verleihen der Plattform nach und nach eine enzyklopädische Dimension, die ihren Nutzern über die Schönheit und den Wert der veröffentlichten Archive hinaus eine fesselnde Tiefe bietet.

Ein letzter Punkt. Wurde in der Westschweiz über diese Veranstaltung in der Presse berichtet? Das digitalisierte Archiv der Gazette de Lausanne berichtet in der Ausgabe vom 2. Mai 1933: "Die Feier zum 1. Mai begann in Zürich mit einer Kontrolle der Baustellen, wo es zu einigen Zwischenfällen kam, die das Eingreifen der Polizei erforderten. Der sozialistische Umzug dauerte 40 Minuten. Er führte am Nachmittag vom Helvetiaplatz durch die Bahnhofstrasse zum Sihlhölzli. Plakate protestierten gegen Lohnkürzungen, gegen den Hitlerfaschismus, andere für das Asylrecht. (...) Der kommunistische Demonstrationszug führte von Aussersihl über das Limmatufer zum Stadttheater und zurück zum Münster. Er dauerte eine Viertelstunde". Es gab also an diesem 1. Mai 1933 zwei Demonstrationszüge in Zürich, einen sozialistischen und einen kommunistischen. Bis zur Annahme der Volksfrontpolitik, die 1936 zum Sieg der vereinigten Linken in Frankreich und Spanien führte, richtete sich die politische Linie Moskaus in der Tat gegen die Sozialdemokraten, die als Verräter betrachtet wurden. Ein Foto des sozialistischen Demonstrationszuges an diesem 1. Mai 1933 in Zürich muss noch gefunden werden... Geduld. Und wie ein Traum bleibt auch das Rätsel um den kleinen Jungen, der neben den Erwachsenen demonstrierte. Was ist aus ihm geworden?