Ein Unterbazenheider in Amerika
Auswanderung nach Amerika, in der Mitte des 19. Jahrhunderts oder
ein Unterbazenheider in Amerika
Johann Pankraz Stadler und Maria Magdalena Schlumpf heiraten am 07.08.1826 in Kirchberg. Am 23.09.1828 wird als ältester Sohn Johann Sigmund Stadler in Unterbazenheid geboren. Seine Geschichte wollen wir verfolgen. Vater Josef Pankraz Stadler ist wie der Grossvater Peter Stadler Küfer in Unterbazenheid. Die Familie Stadler-Schlumpf vergrössert sich bis ins Jahr 1850 um weitere 10 Kinder. Zwei Mädchen sterben schon im Kindesalter. Die Familie wohnt am heutigen Kapellenweg, im „Leckerlihus“, welches mitte Juni 2008 abgebrochen wurde steht. Johann Sigmund war ein Halbcousin von Anton Stadler-Wey 1889-1981, Landwirt am Kapellenweg 2 in Unterbazenheid. Vielen älteren Bazenheidern wird er noch in guter Erinnerung sein.
In der Samstagnacht vom 3. auf den 4.Mai 1834 werden die Gebäulichkeiten der Familie beim Grossbrand in Unterbazenheid ebenfalls heimgesucht. Dem Brand fallen 9 Häuser und 9 Scheunen zum Opfer. 5 Gebäude werden stark beschädigt, darunter auch die Scheune des Heinrich Bolt. Die Kapelle entgeht der Katastrophe wie durch ein Wunder.
Im Bürgerregister von Kirchberg verliert sich die Spur von Johann Sigmund Stadler. Nur sein Geburtsdatum ist verzeichnet. Wohin zog er? Wie lange lebte er noch? Eine Spur führt vielleicht nach Südostasien. Sein jüngerer Bruder Peter Josef Stadler *1845, starb laut Kirchberger Bürgerregister 33 jährig in Pantek Perak, Malaysia. Ist er mit seinem Bruder in den fernen Osten verreist? Dies zu erforschen wäre wohl fast unmöglich, oder nur mit Recherchen vor Ort in Erfahrung zu bringen.
Was bewegte damals junge Schweizer die Heimat zu verlassen? Hunger, Armut, Arbeitslosigkeit oder Pioniergeist?
Im Zeitraum 1845-1855 löste eine anhaltende Wirtschaftskrise die grösste Massenemigration des 19. Jahrhunderts aus. Die Auswandererströme richteten sich fast ausnahmslos nach den Vereinigten Staaten. Dort wurden weite Landstriche erschlossen und besiedelt, indem man die eingeborenen Indianer bekämpfte und vertrieb. Einen zusätzlichen Anreiz zur Auswanderung bildeten die Nachrichten von Goldfunden in Kalifornien seit 1845, bekannt geworden unter dem Begriff Goldrausch. Nach 1855 liess die Stärke der Auswanderung nach und kam während des Amerikanischen Bürgerkrieges (1861-1865) fast vollständig zum Erliegen.
Schon 1817 wanderten rund 3000 Schweizer nach Nord- und Südamerika, aber auch nach Russland aus. Die Überfahrt nach Amerika mit Segelschiffen dauerte 30 - 60 Tage. Krankheiten wie Skorbut (Vitaminmangel, als Folge Zahnausfall), Typhus (Durchfallerkrankung), Blattern (Pocken) forderten zahlreiche Opfer unter den Auswanderern.
1845 gründeten zum Beispiel 118 Auswanderer aus Glarus in Green County, Wisconsin, USA die Siedlung New Glarus.
Die Auswanderung aus der Schweiz erreichte in den Jahren 1882 / 83 mit rund 13'500 Personen einen Höhepunkt. Ziele waren die USA (83%), Argentinien (11%), Kanada (4%), Brasilien (2%). Zwischen 1820 und 1860 waren insgesamt bereits rund 37'700 Schweizer ausgewandert, bis 1870 folgten nochmals rund 23'300, und bis 1880 28'300. Meist wohnten die Schweizer in Siedlungen zusammen und pflegten in Schweizervereinen ihre Lebensart. Der in den USA gepflegte Dialekt ist nach mehr als 100 Jahren "urchiger" als in der schweizer Heimat. Viele Auswanderer kamen aus strukturschwachen Gebieten (Tessin, Graubünden, Oberwallis, Berner Oberland). Die Überfahrt mit Segelschiffen dauerte 1760 noch 40 - 45 Tage, um 1880 mit Dampfschiffen nur noch 8 Tage.
Nun wieder zurück zu unserem Johann Sigmund Stadler. Im Herbst 2005 kontaktierte mich ein Gerry Koller aus Westminster, Maryland, USA. Er ist auf der Suche nach seinen Ahnen. Er teilte mir mit sein Ururgrossvater stamme aus der Gemeinde Kirchberg, sein Name Johann Sigmund Stadler. Er bat mich für ihn weitere Daten zu suchen.
So kann nun also die Geschichte von Johann Sigmund weiter geschrieben werden. Am 29.4.1852 legt im Hafen von Castle Garden, New York das Passagierschiff Adelaide Metcalf, mit 337 Passagieren an. Es kommt nach einer 27 tägigen Reise aus Europa, vermutlich Le Havre, Frankreich. Laut Passagierliste mit an Bord ist Sigmund Stadler, 23 jährig, aus der Schweiz, von Beruf Weber. Er lässt sich in Manayunk, im US Bundesstaat Pennsylvania nieder. Manayunk ist zu dieser Zeit eine aufstrebende kleine Industriestadt, die heute ein Teil der Millionenstadt Philadelphia ist. Vorwiegend leben hier deutsche, polnische sowie irische Katholiken in Ghetto-artigen Verhältnissen. Sigmund arbeiten in den William Cleggs Mühlen wo er auch seine zukünftige Frau kennen lernt. Am 12. August 1854 heiratet er die 17 jährige Johanna Busher, eine holländische Emigrantin, mit der er in Manayunk eine Familie gründet. Aus der Ehe gehen 6 Kinder hervor, 2 Mädchen und 4 Knaben. 1858 wird ihm das Bürgerrecht der Vereinigten Staaten von Amerika erteilt. Das Bürgerrecht von Kirchberg ist somit in diesem Jahr automatisch erloschen.
Bei Ausbruch des amerikanischen Bürgerkrieges 1861 wird Johann Sigmund im Alter von 32 Jahren in die Grand Army of the Republic #12 out of Philadelphia, Pennsylvania aufgeboten. Seinen Militärdienst beendete er im Bundesstaat Michigan beim Kampf gegen die Indianer.
Johann Sigmund Stadler stirbt am 2. Juni 1912 als brummiger alter Mann in Manayunk, Philadelphia wo er am 5. Juni 1912 auf dem Friedhof „St. Mary of the Assumption“, Manayunk, bestattet wird.
Johann Sigmund Stadler war einer von vielen Kirchberger Bürgern die Ihr Glück in den Vereinigten Staaten von Amerika gesucht haben. So lebt also ein Stück Unterbazenheid in Übersee weiter.
Dieser Bericht wurde 2006 im Alttoggenburger veröffentlicht.
Herzlichen Dank für die detaillierte Recherche und den Überblick über die Auswanderung. Als ergänzenden Artikel kann ich jenen über Auswanderung im HLS empfehlen hls-dhs-dss.ch/de/articles/007... . Ihre Geschichte ist unglaublich illustrativ.