Wir analysieren die anonymisierten Daten unserer Besucher und Mitglieder, um unser Angebot und den Inhalt der Website besser auf Ihre Bedürfnisse abzustimmen. Diese Website setzt beispielsweise zur Analyse des Datenverkehrs auch Cookies ein. Sie können die Speicher- und Zugriffsbedingungen für Cookies in Ihrem Browser einstellen. Zusätzliche Informationen.

Tagebuch aus einer Ehehölle Auf Top-Liste gesetzt

1974
Lisbeth Herger

Im Rahmen meiner Begleitarbeit als Biografikerin lernte ich E. kennen. Während unserer Zusammenarbeit zeigte sie mir Tagebuchnotizen zu ihrer Leidenszeit als Ehe- und Familienfrau in den siebziger Jahren. Sie war Mutter von drei kleinen Kindern, steckte in einer zerrütteten und gewaltbesetzten Ehe fest, ökonomisch abhängig und durch das alte Eherecht in den eigenen Grundrechten beschnitten. Erst nach einer Schiesserei ihres Mannes im eigenen Haus, bei der sie unverletzt davonkam, wagte sie den Schritt zur Scheidung. Der Pistoleneinsatz blieb übrigens in der Scheidungsakte unerwähnt.

Das Tagebuch ist ein erschütterndes Dokument weiblichen Leidens in den Fängen des alten Eherechtes, das den Sex zur ehelichen Pflicht der Frau erklärte und das bekanntlich erst 1985 abgelöst wurde. E. (geboren 1943) ist es ein Anliegen, das Dokument als Zeugnis dieser Zeit auf UnsererGeschichte.ch zu publizieren. Ich poste es an ihrer Stelle unter meinem Namen, um die Anonymisierung zu garantieren.

22. Februar 1974

Besuch beim Arzt. Diagnose Blinddarmentzündung. Sofort ins Spital. Nach Hause packen, A. anrufen im Geschäft. «Willst mich noch sehen, bevor ich ins Spital gehe?» Antwort: «Kannst dir ein Taxi nehmen. Der Nachbar bringt mich heim. Michael bleibt daheim. Klara und Emma sind schon beim Grosi. Operation um 18 Uhr. Muss noch eine Woche liegen. Grosi bleibt da Unterdessen hat A. die Stelle gekündigt auf Ende April. Fängt erst im Juni am neuen Ort an. Ich muss zum Arzt zur Kontrolle. Das erste Mal holt mich Georg und bringt mich wieder heim. Bleibt dabei von der Arbeit fern. Das zweite Mal fahre ich allein mit dem Auto. Wir haben es schon über Jahr und ich bin nie gefahren damit. Über ein Jahr. Jetzt muss ich, wohl oder übel. Obwohl ich viel liegen muss, nimmt A. keinen einzigen Tag frei, um zu helfen. Einmal schickt er die Haushälterin für vier Stunden und bezahlt ganz schön dafür. Bin müde und schwach. Mein Mann führt sein gewohntes Leben, geht aus, vergnügt sich.

Ein Erholungsurlaub drängt sich auf. Zwei Wochen ins Berner Oberland und die Krankenkasse würde bezahlen. da ich aber schon lange gern nach M. möchte, entschließe ich mich, dorthin zu fliegen. Mein Arzt unterstützt mich. Nach langem Hin und Her liegt der Termin fest auf den 3. Mai, einem Freitag. A. ist nun für sechs Wochen frei, bringt mich aber nicht zum Flughafen, nur zum Bahnhof. Grosi bleibt für zwei Wochen bei Michael und Emma. Klara darf nach Basel zu Christa. Ich fühle mich großartig. Ich habe den neuen Pass in der Tasche. Bisher hatte ich nämlich keinen. Dazwischen Geld, Reiseführer, ein Flugbillett für teures Geld, das ich in den zehn Jahren vom Haushaltungsgeld abgespart habe. 1600 Franken für alles. Der Flug ist herrlich. Einmaliges Nachtessen, Zwischenhalt in A., nochmals Essen, Ankunft in O. um 21 Uhr. Zwei Freunde holen mich ab und bringen mich ins Hotel, circa 60 Kilometer weit, direkt an der Nordküste. Nochmals Nachtessen. Ich wiege noch 55 Kilo und bin mit den Nerven am Ende. Nachts schlafe ich schlecht. Das Meer rauscht, Mücken sirren und ich habe Zeit, über mein Leben nachzudenken.

Ist es wirklich total verpfuscht? Für meinen Mann habe ich überhaupt keine Gefühle mehr. Ich hasse ihn nicht einmal. Er ist mir einfach gleichgültig. Die Kinder könnte ich wohl lieben. Sie erinnern mich aber in so vielem an A., dass ich sie deswegen verachte. Die armen Kleinen können aber wirklich nichts dafür. Sie werden hin und her gerissen zwischen Eltern, die überhaupt nichts mehr gemeinsam haben. Ist eine Scheidung die Lösung? Ich wäre frei und unabhängig, hätte aber die ganze Verantwortung für die Kinder. Zurück ins Elternhaus und halbtags arbeiten? Solange die Kinder ihren Vater noch so sehr lieben, kann ich das nicht verkraften. Sie würden mich mit Vorwürfen überfallen. Abwarten, bis sie selbst einsehen, was besser wäre? Wenn A. seine guten Zeiten hat, spielt er lieb mit seinen Kindern, ist aber immer sehr autoritär und zu keinen Kompromissen bereit. Sie müssen spielen, wie Vater es will. Beim kleinsten Zwischenfall brüllt er los. Zum Glück schlägt er nicht mehr so unbeherrscht rein wie früher. Er lehrt, belehrt, beherrscht. Kann er das mit seiner Frau auch tun? Habe ich nicht ein Recht auf Selbstverwirklichung? Wie kann ich mich weiterentwickeln, wenn ich unter ständigem Druck eines Mannes stehe? Er braucht eine Frau, ein hübsches Püppchen, bewundern, anlehnen, stets für ihn und seine Probleme empfänglich. Ich kann ihn aber nicht akzeptieren, so wie er ist.

Hat das etwas mit Emanzipation zu tun? Mit der Entwicklung der heutigen Frau, die endlich erwacht ist und für ihre Anerkennung kämpft? Zum Glück ist die Zeit vom Heimchen am Herd endgültig vorbei. Die Gefahr zu überborden ist aber im Moment groß. Die Frau geht aus, vergnügt sich, wählt sich ihre Freunde, Liebhaber. Im Zeitalter der Pille ist auch das gefahrlos. Der Mann avanciert zum Hausmann, sorgt für Essen, Wohnung und Kleider. Nur Kinder kriegen kann er leider nicht. Leider? Ich nehme an, wenn die Zeit der ersten Euphorie vorbei ist, wird sich die Gleichberechtigung auf allen Gebieten sicher durchsetzen. Die seit Generationen unterdrückte Frau wirft die Fesseln ab. Ein neues Image, eine Neugeburt, eine Revolution macht sich breit. Und wie jede neue Entwicklung muss sich auch diese zuerst durchsetzen, bewähren, einpendeln. Natürlich ist es jeder Frau selbst überlassen, die neue Welle mitzumachen oder im alten Trott daheim zu vegetieren. Es gibt immer noch genügend unselbstständige und sich nach Autorität sehnende weibliche Wesen. Warum diese verurteilen? Auch diese helfen mit, die Anfangsschwierigkeiten zu reduzieren. Die menschlichen Charaktere sind nun mal grundverschieden. Warum nicht tolerieren statt verurteilen? Wir müssen zuerst lernen, unsere Mitmenschen zu akzeptieren, wie sie sind. Die einen überborden, die anderen ziehen sich zurück. Der Durchschnitt ergibt den goldenen Mittelweg. Auf mich bezogen, denn ich will ja. etwas über mich und meinen Alltag schreiben, so bin ich mir bewusst, dass ich leicht zum Überborden neige. Ich bin tolerant, großzügig, verlange diese Eigenschaften aber auch von anderen. Warum nicht einmal richtig über die Schnur hauen, um nachher wieder bewusster zu erleben, wo mein Platz liegt, wie meine Pflichten zu erfüllen sind, was andere, meine Familie, von mir erwarten.

Wie können sich zwei Menschen so quälen? Zwei Menschen, die freiwillig zueinander gefunden haben und sich nun durch gemeinsame Kinder zum Miteinanderleben verpflichtet haben. Wo ist die große Liebe der ersten Zeit hin geflüchtet? Oder war es gar keine Liebe? War es wirklich nur Sex, der Reiz des Neuen, das Erlebnis zweier Körper, die eins werden? Im Alltagsleben wird die Hochstimmung zu einem banalen, primitiven, körperlichen Bedürfnis. Der Körper macht mit, die Seele entfremdet sich, sie weigert sich da mitzutun. Sie steht höher, entwickelt sich höher. Der Körper bleibt mit seinen primitiven Bedürfnissen und nichts ist ihm zu schlecht, diese zu befriedigen. Wer wundert sich darüber, wenn eine Frau mit ihren feinen, mütterlichen Gefühlen da einfach nicht mehr mitmachen kann? Sie hat ihre Kinder, die sie braucht als Selbstbestätigung. Was will sie da noch mehr? Zu einem seelenlosen, manipulierten Geschlechtswesen abgewertet zu werden? Stets zu Diensten des Mannes bereit, als Versöhnungsobjekt nach einem Streit, zum Abreagieren von Enttäuschung und schlechter Laune? Nein. Wenn viele tausend Frauen da mitmachen, können und wollen, ich kann nicht und ich will nicht. Das Einzige, das wir noch gemeinsam haben, ist das Bett. Auch das nur zeitweise, aber trotzdem, es ist noch da. Das Bedürfnis des Mannes, die Verpflichtung der Frau. Ich habe einen Mann, mit dem ich nichts anfangen kann. Ich kann nicht diskutieren, seine sturen Auffassungen bringen mich in Wut. Ich kann ihn nie um Rat fragen, ihm nichts anvertrauen. Wir können uns einfach nicht überwinden, Vertrauen zu haben, uns gegenseitig zu achten, wie wir sind. Jeder hat Angst zu unterliegen, ein täglicher Kampf um Anerkennung und Gleichberechtigung. Jeder führt sein eigenes Leben. Meistens bin ich diejenige, die daheimbleiben muss, damit jemand bei den Kindern ist. Wenn ich mir mal einen freien Tag leiste, muss ich nachher die doppelte Arbeit nachholen oder bekomme es bei nächster Gelegenheit vorgeworfen. Trotzdem breche ich hin und wieder aus dem Käfig. Ich habe ein Recht auf etwas persönliche Freiheit, auf kleine Geheimnisse, die nur mir gehören, auf kurze Höhenflüge hoch über dem Alltag.

Wenn man die Stimmung beachtet, die ständig herrscht in unserer Familie, Wut, Kritik, Drohungen, Kämpfe, wer würde das aushalten ohne gelegentliche Auftankung? Jedes Auto braucht frisches Benzin, jede Pflanze braucht Wasser, jede Frau, Mutter, Hausfrau braucht frischen Wind in den Haaren. So kann ich mir auch mehr Mühe geben, dieses Leben zu ertragen, die ständigen Reibereien. Wer ehrlich ist, wehrt sich an Ort und Stelle für sein Recht. Dies habe ich aber leider schon verlernt oder besser gesagt, ich finde die Mühe nicht wert, ständig um Kleinigkeiten zu kämpfen. So bin ich bereits schon zum großen Schweigen übergegangen, dem Frieden und den Kindern zuliebe. Nur etwas lohnt sich noch, anständig zu bleiben. Abgesehen von gelegentlichen Wutausbrüchen gebe ich mir die größte Mühe, niemanden zu verletzen. Wie leicht könnte ich so einen Mann beleidigen, ihn lächerlich machen, ihn ignorieren, ihn mit den Waffen bekämpfen, die er verdient. Aber nein, gemein bin ich nicht. Ich achte ihn als menschliches Wesen. Als Vater und Ehemann könnte ich ihn verachten. Ihn abstempeln als unfähig, eine Familie zu haben, als Egoisten und Draufgänger. Er versteht es so gut, den Unverstandenen zu spielen, den Reuevollen. Er versteht sich auf Zärtlichkeiten und glaubt, damit alle begangenen Fehler wieder gut zu machen. Bin ich verpflichtet, da mitzutun? Viele Frauen würden es tun. Immer wieder von vorne anfangen. Immer verzeihen, verstehen, sich anpassen. Ich kann nicht. Was nützen mir die schönsten Zärtlichkeiten, wenn nachher das böse Erwachen folgt? Neue Schwierigkeiten, neuer Streit. da halte ich mich lieber ganz draus, versuche stets gleich zu bleiben, also gleich abweisend, nur um nicht immer wieder von Neuem enttäuscht zu werden. Ist das der große Fehler? Wer kann mich zwingen, sämtliche Launen mitzumachen? Wer kann mich zwingen, himmelhoch jauchzend mitzutun, um nachher jedes Mal schlimmer und nachhaltender zu Tode enttäuscht zu werden? Da ist noch die eheliche Pflichterfüllung. Wie kann ich diese Pflicht mit Freuden erfüllen, wenn sie das Einzige ist, das zwei Menschen noch verbindet? Ich erfülle sie mit Widerwillen und mit Ekel. Ich komme mir jedes Mal beschmutzt vor, missbraucht, als Objekt zur Lustbefriedigung, zu nichts anderem zu gebrauchen und auch in nichts anderem geachtet und verehrt. O seliger Augenblick, wo in der Kirche ein JA gehaucht wurde, oh grässliche Augenblicke in Erfüllung dieser Verpflichtungen.

11. Juli Das vermasselte Fest. Mit Andreas zusammen mache ich die Dekoration im Mönchskeller und lerne dabei verschiedene Männer kennen. Mein Mann kommt auch am Abend vorher, um sich zu präsentieren. Ich bekomme eine Einladung zum Fest mit dem Churchill und Golden Life Club. Das Essen ist prima, der Wein auch. Um 23 Uhr taucht wie üblich mein Mann auf. Ich beachte ihn nicht groß. Soll er sich selber amüsieren. Er findet natürlich kaum Anschluss, darum ist seine eigene Frau wieder gut genug. Als mich drei meiner Freunde noch nach P. zu einem Drink entführen wollen, hängt’s ihm aus und er stellt mich wieder als Hure hin und wie er froh sei, mich abzuhaben. Ich erkundige mich höflich, ob ich mit verschlossenen Haustüren rechnen müsse, wenn ich noch weggehe. Natürlich ja. So bleibt mir nichts anderes übrig, als mit ihm zu gehen. Unterwegs lässt er sich von Bekannten einladen. Sie wollen mich auch mitschleppen. Ich gehe mit bis zum Haus, schleiche dann ab - nach Hause und ins Bett. Nach einer Stunde, es ist drei Uhr morgens, kommt der Chef heim, weckt mich auf und will noch etwas von mir. Wie könnte ich da mitmachen, nachdem er mir den ganzen Abend verdorben hat? Er lässt sich nicht abhalten und wirkt eine volle Stunde drauflos, hemmungslos, rücksichtslos, mit Gewalt. Eine Vergewaltigung wäre nichts dagegen. Zuerst versuche ich, mich zu wehren, habe aber Angst, dass er mich würgt und in seinem Zustand womöglich noch tötet. Vor Schmerzen und Wut beginne ich zu heulen, ihn stört das überhaupt nicht. Endlich komme ich los und schleppe mich die Treppe hinunter und verbringe den Rest der Nacht schlaflos auf der Couch.

Am nächsten Tag geht's fröhlich weiter. Er probiert jeden Abend, jeden Morgen. Wehre ich mich nicht, macht er hemmungslos drauflos. Wehre ich mich und sage ihm, er solle sich zum Teufel scheren, kriegt er Wutanfälle und droht mir woanders hingehen, wo er bekomme, was er brauche. Wie soll ich mich jetzt auf dem Scheidepunkt unserer Ehe verhalten? Bleibe ich geduldig und erfülle weiter mit grösstem Ekel meine Pflicht, so könnte es wohl noch ein paar Jahre so weitergehen, bis die Kinder grösser sind und sich selbst von ihrem Vater lösen. Kann ich mich aber nicht mehr überwinden und lasse ihn ziehen, falls er überhaupt irgendwo Anschluss findet, so werde auch ich machen, was ich will. Diese Ehe ist sowieso nicht mehr zu retten.

Was ist besser für die Kinder? Eine Scheidung, die saubere, ehrliche Lösung oder ein Nebeneinanderleben? Jeder hat seine Vergnügen, aber wahrscheinlich wäre jeder zufriedener und anständiger mit den Kindern, die natürlich um den genauen Sachverhalt wüssten, sich aber im grossen Ganzen selbst ein Urteil bilden müssten. Dabei bin ich so egoistisch, dass ich nicht nur für die Kinder, sondern auch für mich noch ein schönes Stück vom Kuchen abschneiden will. Was nützt es, die nächsten zehn Jahre so daheim zu vegetieren, die Nerven ruinieren und alle Lebensfreude verlieren? Nein, schließlich ist das Leben kurz und man soll das Beste daraus machen. Es ist aber auch lang genug, einen Haufen Fehler zu machen, die man schon nach ein paar Jahren nicht mehr versteht und nie mehr tun würde.

24. Juli, der 33. Geburtstag. A. fuhr schon am Samstag nach Dortmund, seine kranke Mutter zu besuchen. Ich fahre mit den Kindern ins Flurwegli zum Zmittag.

12. August. Eigentlich sollte ich jeden Tag ein paar Notizen machen, um all die kleinen Gemeinheiten festzuhalten, die schließlich zu einer Explosion führen werden. Alles deutet darauf hin, dass unsere Familie nicht mehr lange eine Familie bleibt. Eine glückliche schon gar nicht. Nachdem er am Donnerstag wieder einmal ohne Abmelden von Mittag bis morgens zwei Uhr weg war, passierte am Freitag dasselbe. Nur kam er noch schnell um sieben Uhr, so pro forma, mich einzuladen, nach B. mitzufahren. Ich hatte etwas abgemacht, musste aber absagen, wie ich merkte, dass Michael fieberte. Ihn kümmerte das natürlich überhaupt nicht. Er hat seine Abmachung und hält sie ein (bis zwei Uhr in der Nacht). Samstag ist er den ganzen Tag weg zum Schießen, Sonntagmorgen auch. Ach, wie herrlich, wenn der Tyrann aus dem Haus ist! Am Nachmittag hält er zuerst einen Vortrag über die blöden Weiber. Michael stimmt ihm bei und um meine Laune ist's wieder mal geschehen. Wie immer in solchen Situationen sage ich lieber nichts, weil ich mich ja. nach so Gemeinheiten schlecht beherrschen kann. Da sitzt man die ganzen fünf Wochen Ferien schön zu Hause, gibt sich mit den Kindern ab, stellt die ganze Wohnung um, macht Früchte und Gemüse ein für den Winter - und der Dank? Abends bin ich todmüde, möchte schlafen, er aber wirkt noch eine volle Stunde drauf los im Schlafzimmer, putzt Gewehr, Pistolen etc. Weil ich nicht getraue etwas zu sagen, kommt er noch zu mir ins Bett und schon geht's da wieder los mit Wehren und Abwehren. Morgens um sechs das gleiche Lied wie jeden Morgen. Aber diesmal geht's nicht so gimpflich ab. Ich halte ihm seine dauernde Abwesenheit vor und wie so blöde Weiber grad noch fürs Bett recht wären. Er schimpft auf meine Kälte und ständig schlechte Laune. Wieso soll ich so einem rücksichtslosen Menschen erklären, dass meine schlechte Laune erst kommt, wenn er in der Nähe ist und meine Gefühlskälte eine normale Reaktion ist auf seine Gemeinheiten. Im Übrigen ist er schlimmer als ein Kind. Rachesüchtig, egoistisch, aggressiv, stets auf eigenen Vorteil aus, missgünstig und primitiv. Der morgendliche Wutanfall endete damit, dass er in Zukunft machen werde, was ihm passe. Er werde sich irgendwo anders abreagieren. Und was ich mache, kümmere ihn jetzt auch nicht mehr. Was würde wohl passieren, wenn ich auch mal eine ganze Nacht nicht nach Hause käme? Und die Kinder? Zum Glück fühle ich mich ihnen gänzlich verantwortlich. Auf die miesen Erziehungsversuche des Vaters können wir alle gut und gern verzichten. So werde ich also für die Kinder da sein und hoffe, mein Mann werde sein eigenes Leben führen, ohne mich ständig zu quälen und die schlechte Laune an seiner Familie auszulassen. Soll er sich eine Geliebte halten, der er auch sein Alltagsgesicht zeigt, so habe ich wenigstens meine Ruhe und meinen Frieden.

Leider kann ich mich von so einem Typ nicht scheiden lassen. Er würde mir und den Kindern das Leben zur Hölle machen, ganz abgesehen von den finanziellen Schwierigkeiten, in die wir geraten würden. So einen ausgekochten Egoisten wäre doch das Wohl der Familie so Wurst wie nur etwas. Und da er mich am Montagmorgen so laut und deutlich auf meine Unabhängigkeit hingewiesen hat (was du machst, ist mir jetzt auch egal), wäre ich schön blöd, wenn ich es nicht mal ein wenig ausnützen würde. Statt turnen treffe ich mich mit einem Freund, wie und wo ist Nebensache und verbringe ein paar herrliche Stunden ungezwungen, freiwillig mit dem Herzen dabei - ohne schlechtes Gewissen, da ich ja die offizielle Erlaubnis von höchster Stelle habe. Leider verpasse ich den letzten Zug und komme um 1 .15 Uhr nach Hause - nicht mehr so ganz nüchtern, dafür gelöst und froh, so richtig erholt. Und in diesem Zustand wäre ich auch die Annäherung meines Angetrauten nicht ab - gemein sein kann ich nicht, ja, ich mache sogar noch aktiv mit (verstecktes schlechtes Gewissen?). Auf seine Fragen, wo und mit wem ich gewesen sei, heisst es: das sage ich nicht. Wozu lügen?

14. August. Mittwochnachts geht das Gewitter los. 2 Uhr. Fluchen, Toben. In meinem seligen Halbschlummer kann ich nur Folgendes realisieren: «Jetzt hast du mir auch noch den Tripper angehängt, das ist das Ende. Morgen gehe ich zum Arzt, dann zum Rechtsanwalt und dann und dann und dann…». Ich bin natürlich vom Schlag getroffen, bekomme Herzklopfen, sage kein Wort. Am anderen Morgen ist er ganz manierlich, fragt mich aus. Und da ich in einer solchen Situation nicht kneifen kann, gestehe ich kaltmutig, dass ich am Montag mit einem Mann geschlafen habe. Mehr nicht. Den ganzen Tag ist mir mies, dass ausgerechnet mir wieder so etwas passiert. Ein kleiner Seitensprung und schon gibt es Folgen. Unser Held geht aber nicht zum Arzt, angeblich aus Zeitmangel, am nächsten Tag auch nicht und somit ist der Fall für mich erledigt. Wie dann noch Blumen kommen, ist das Misstrauen komplett. Und von nun an habe ich das Gefühl, er überwacht jeden meiner Schritte. Soll er - ich habe mich jetzt entschlossen, mein eigenes Leben zu leben. Ich bin noch zu jung, um meine Nerven jetzt schon zu ruinieren.

25. August: Samstag nur zum Mittagessen zu Hause, nachher Turnfest, wobei er nicht den Mut hat zu sagen, er käme nicht zum Schlafen. «Wenn du eine sturmfreie Bude willst, musst du sagen, dann bleibe ich weg!» Primitive Anspielungen! Er bleibt trotzdem weg, fährt am Sonntag früh nach Dortmund zu seiner Mutter. Ich sehe ihn erst am Montagmorgen um 6 Uhr wieder, wo er mir erzählt, er hätte drei Stunden im Auto schlafen müssen, weil das Haus zu gewesen sei.

30.August. Muss ich mir das wirklich bieten lassen! Kommt das Ass von einem Mann so gegen Mitternacht heim. Ich schlafe schon friedlich, aber wie immer, wenn ich schlafe, glaubt er, er hätte leichtes Spiel, mich zu verführen. So geht das denn wieder los, brutal, rücksichtslos - Ich sage kein Wort, reagiere überhaupt nicht, überlege mir nur ständig, wie lange ich mir diese Schweinerei wohl noch gefallen lassen muss. Wer kann mir Vorwürfe machen, wenn ich mich einen anderen in die Arme werfe, von dem ich wohl nur das Sonntagsgesicht sehe, der mich also wenigstens als Frau ernst nimmt? So bin ich heute ganz erschlagen, mich ekelt vor mir selbst, dass ich diesen Menschen immer wieder zu Diensten liegen muss, eine Erfüllung meiner verdammten ehelichen Pflichten.

Aber heute Abend gehe ich aus, nicht aus Trotz und Rachsucht, sondern weil ich es dringend brauche, ein paar unbeschwerte Stunden zu genießen, ohne Kinder, ohne Mann, den ich verachte, nur so für mein eigenes Vergnügen, als Zeichen meiner persönlichen Freiheit. Auch um die werde ich kämpfen, und wenn dabei diese lausige Ehe endgültig in Brüche geht. Und dann werde ich für die Kinder kämpfen, für meine Kinder, die ich auf die Welt gebracht habe und die mir gehören, bis sie selbstständig sind.

2. September. Achtung, mein Mann bringt mir Blumen. Als Dank, weil ich wieder mal hingehalten habe, ohne zu murren, sagt er. Ich sage, er fühlt irgendwo irgendeine Konkurrenz und will mir nun beweisen, dass er so gut ist wie irgendwer.

4. September. Da er heute Geburtstag hat, geht er zum Stamm. Die Familie kann ihn am ….

7. September. Ich arbeite im Berghüsli. Grosi kommt zum Hüten. Abends hat mein Mann Besuch zum Znacht. Ich werde eisig empfangen und gehe daher ohne Kommentar zu Bett.

14. September. A. fährt nach Dortmund. Die Kinder zum Grosi, ich mache mir einen vergnügten Nachmittag im G, mit abschließendem Höck. Zwei Züge verpasse ich, dann sitze ich im falschen und komme schliesslich gegen 23 Uhr heim!

15. September. Bergtour mit FTV (Frauenturnverein) nach F.. 1 Tag unter Frauen – auch nicht schlecht.

20. September. Ich habe eine Tischdekoration zu machen. Abends kommen Löfflers aus München. Ein ganz, ganz nettes Paar.

21. September. 50 Personen zu Besuch. Ehemalige AT – Studenten mit Frauen und Kindern. Ich tue meine Pflicht. Backe, koche, mache überall mit. Zum Dank verdirbt uns so ein Typ den ganzen Abend und A. weiß nichts Besseres, als mit dem noch saufen zu gehen. A. kommt heim, stockbesoffen. Ich verziehe mich ins Bett. Soll er diesmal seine Aggressionen an einer anderen auslassen. Aber natürlich ist es um die Nachtruhe geschehen. Bis er endlich fertig gekotzt hat und getobt, ist schon fast wieder Morgen.

18. Oktober. Während ich eine Woche turne in Gwatt, stirbt die Schwiegermutter. Schade. Es war so angenehm, wenn A. hier und da das Wochenende in Dortmund verbrachte.

Weihnachten und Neujahr glücklich überstanden. Am 24. zu Hause feiern mit viel Schauspielerei und tun als ob. Den Kindern zuliebe. Am 25. im Flurwegli. Und auch da ging alles glatt über die Bühne. Die Kinder werden mit Geschenken überhäuft.

(…)

M. hat 2 Wochen Ferien. Wenn wir nicht auf Besuch sind, hocken sie oben zum «Isebändle». Stundenlang. Zum Essen kommen sie gnädigst hinunter. Ich putze, räume auf, wasche, koche, wasche ab, und dabei soll ich dankbar sein, dass er die Kinder hütet? Stelle ich da zu hohe Ansprüche? Ich kann mich ja wirklich nur erholen, wenn ich ganz allein irgendwo hingehe.

Seit dem 6. Dezember, - wo er mich vor allem Gästen als faules Ding, das weder selbst einkauft noch Essen kocht, wenn der Chef später kommt, und er über Mittag überhaupt nicht zum Sitzen kommt, weil er den Kleinsten auch noch versorgen muss, etc. etc., - haben wir kaum ein paar Sätze gesprochen. Und Anfang Dezember, wie ich schon dreimal hingehalten habe in einer Woche und mich beim vierten Mal getraut Nein zu sagen, werde ich als blöde Gans betitelt und aufgefordert, ihn am Arsch zu lecken. Bitte, das habe ich getan. Der Ehestreik dauerte fünf Wochen, zwischendurch habe ich es einmal versucht, aber ich glaube, damit ist es jetzt endgültig fertig. Ich kann nicht mehr.

Silvester war noch angenehm mit Rudolfs. Nichts Originelles, kein Flirt – nichts, einfach sitzen, essen, trinken.

7. Januar 1975. Das war heute bei meinem Arzt. Ständige Schmerzen im Unterleib und Brüsten. Der Untersuch war negativ. Es muss an den Nerven liegen. Mein Hormonhaushalt ist gestört, muss Kuren machen etc. Soll Nerven schonen, aber wie? Nun sind wir wieder so weit wie vor einem Jahr. Habe ich das wirklich nötig, meine ganze Gesundheit zu ruinieren nur wegen einem Mann, den ich nicht mehr vertragen kann? Nützt es etwas auszuharren in einer Scheinehe nur den Kindern zuliebe? Und wenn die Kinder groß sind und ich gehen könnte, dann bin ich gesundheitlich kaputt. Aber wenn ich jetzt schon verreise, werde ich mir nicht dauernd Vorwürfe machen deswegen? Das Beste wäre mit der Familie neu anzufangen. Aber mit diesem Mann? Ich kann ihn überhaupt nicht mehr ertragen. Ich habe ständig die Idee, er hätte mein ganzes Leben ruiniert. Natürlich habe ich große Fehler gemacht. Am Anfang, wie ich zu sehr das Leben genossen habe, aus der Angst etwas zu verpassen. Aber er hat es einfach nicht verstanden mich entsprechend zu behandeln. Warum hat er mich tagelang allein gelassen? Nur wegen seinen blöden Hobbys und mich dadurch zu Taten getrieben, an die ich sonst überhaupt nicht gedacht hätte. Ich war immer fair ihm gegenüber und habe meine Pflicht erfüllt. Auch bin ich großzügig und verlange weiter nichts als dass er sich zu Hause anständig aufführt. Sonst kann er machen was er will. Mich stört es nicht. Ich mache mich höchstens hier und da lustig über ihn. Im bösen Sinne, klar, aber er führt sich auch so auf, dass er nichts Besseres verdient. Er ist ein kleinlicher engstirniger Egoist, und wenn er so weitermacht ist er bald überall verhasst. Und dann habe ich vielleicht einen Grund mich von ihm zu befreien. Aber bis dahin kann noch viel passieren. Vor allem wird meine Gesundheit nicht mehr lange mitmachen.

24. Februar 75. Weil ich meine ganze Nervenkraft für den Mann brauche, mit dem ich mein ganzes Schicksal teilen muss, habe ich leider keine mehr für die Kinder, die aus meinem Blut und Leib kommen und die ich doch von ganzem Herzen lieben möchte. So kann ich denn um Kleinigkeiten so ein Theater machen, nur weil ich nicht mehr die nötige Ruhe aufbringe um sachlich zu diskutieren. Leider kommt Michael ganz in die Fußstapfen seines Alten, mit Dickschädel und Besserwissen, dass er mich ganz zur Verzweiflung bringt. Und es vergeht kein Tag ohne Streit. Wenn der Mann daheim ist sowieso, dann genügt der kleinste Funken, das Pulverfass zum Explodieren zu bringen. Diese Hochspannung dauernd, das ist es, was die ganze Familie ruiniert. Dafür kommt er jeden Abend und jeden Morgen mit seinen Liebkosungen. Hat er das Gefühl, damit alles wieder gut zu machen? Bin ich denn eine Puppe, die man nach Belieben aufnehmen oder ablegen kann? Nein, wenn ich tagsüber nicht estimiert werde, dann brauche ich seinen Schmus auch nicht. Im Moment reagiere ich auf alles passiv und apathisch. Eine Reaktion überlasteter Nerven. Nur hier und da explodiert’s noch. Wenn ich das noch ausschalten kann, dann ist gut.

Was die armen Kinder den ganzen Tag für negative Eindrücke aufnehmen müssen. Alles wird durch den Dreck gezogen, an nichts und niemanden wird etwas Positives gelassen. Die größten Vorträge müssen wir uns anhören. Alles negativ – negativ - negativ. Wenn ich die Kraft hätte, würde ich mich energisch wehren. Aber ich rege mich jedes Mal so furchtbar auf, dass ich es nicht mehr riskiere. Schade. Es geht sehr viel kaputt dadurch.

4. Mai. Der dritte Nervenzusammenbruch innert weniger Jahre. Wie lange soll das noch so weitergehen? An Emmas Geburtstag hat er knapp eine halbe Stunde Zeit zum Feiern. Am Nachmittag muss Großvater zum Hüten kommen, weil ich im Teehaus bin. Abends ist er weg, ohne Abmeldung vom Nachtessen. Ich jasse alleine mit Peters. Sonntagabend probiert er dann wie fast jeden Abend, ob er noch aufhocken kann. Ich weigere mich energisch und da meint er so höhnisch grinsend, wenn ich es ihm nicht geben wolle, so nehme er es sich eben. Und dann ging es los, dieser verdammte Schweinehund, schlimmer als ein Tier - mit Gewalt drauflos. Dabei munterte er mir noch ständig auf zu kämpfen. Es wäre viel kurzweiliger, wenn ich kämpfen würde! Jeder andere Verbrecher wird wegen Vergewaltigung eingelocht. Aber beim eigenen Mann, da ist es ja schriftlich besiegelt, der kann drauflos huren wie er will - die Frau fragt keiner. Vor lauter Ekel und Elend brach ich in Tränen aus, hysterisches Heulen mit Schüttelfrost und dem einzigen Gedanken: ich will sterben - wenn ich nur schon tot wäre. da ließ er endlich von mir ab, aber das Zittern blieb noch lange.

Auch meine Reaktion: am Dienstag Abend wusste ich nichts Gescheiteres in meiner Verzweiflung, als das ganze Elend im Alkohol zu ersäufen. Morgens um halb fünf bin ich heimgekommen – und auch da stand er wieder bereit – bereit zum Sprung, aber diesmal habe ich ihn ganz eindeutig weggeschickt.

Nun bin ich tatsächlich so weit, dass mich alles aufregt, was meinen Mann betrifft, selbst wenn er etwas einmal gut meint – ich kann gar nichts mehr akzeptieren von ihm, ich sehe nur noch Fehler, Schikanen, Heuchelei. Ich steigere mich in eine Rage hinein, um ja keinen Fehler zu verpassen, um ihm offen oder versteckt Vorwürfe zu machen. Meist noch vor den Kindern, aus einem Zwang heraus, mich wehren zu müssen.

11. Mai: Muttertag. Ein Tag wie jeder andere.

Sie müssen angemeldet sein, um Kommentare verfassen zu können
Lisbeth Herger
18 Beiträge
10 September 2024
61 Klicks
1 Like
1 Favorit
1 Kommentar
2 Galerien
Netzwerk:
Sponsoren:
4,207
222
© 2024 unsereGeschichte.ch. Alle Rechte vorbehalten. Entwickelt von High on Pixels.