Fritz Looser (1911-1975) Teil 1
Das Porträt meines Vaters Fritz Looser habe ich kurz nach seinem Tod 1975 geschrieben. Es basiert auf den letzten Gesprächen mit ihm. Das Schreiben half mir, mit seinem Tod besser umgehen zu können.
Als ehemaliges Verdingkind war seine materielle und seelische Basis schwach, umso beeindruckender sind seine Versuche, ein gutes Leben zu erreichen.
Fritz Looser, der Mann, dessen Geschichte ich hier aufschreiben möchte, wurde am 18. August 1911 in Rebstein als Sohn des Adolf Looser und der Anna Maria Looser -Boxler geboren.
Adolf Looser war, wie schon seine Vorfahren, in der Stickerei und Weberei -Industrie der Ostschweiz als Stickermeister tätig. Beim Niedergang der St. Galler -Stickerei während dem Ersten Weltkrieg wurde auch Adolf Looser arbeitslos und musste mit zwei seiner Söhne - seine Frau hatte ihn verlassen - nach Zürich ziehen.
In einem Wirtshaus fanden sie eine notdürftige Unterkunft und A. Looser musste sein Brot nun als Handlanger in einer Zürcher Fabrik verdienen.Da er Nachtschicht arbeitete, schlief er tagsüber und sah nicht, wie seine Söhne vom Wirt geprügelt und als Arbeitstiere eingespannt wurden.
Wenn sie das Unrecht dem Vater klagten, wurden sie der Lüge bezichtigt und am nächsten Tag noch stärker verprügelt. Adolf sah keinen anderen Ausweg, als sich dieser Welt voller Prügel und unmenschlicher Arbeit durch einen Sprung aus dem Fenster zu entziehen. Doch er wurde vom Wirt zurückgehalten. Nachdem dies von einem vornehmen Herrn, dem Leiter der Burghölzli -Klinik, beobachtet worden war, erstattete dieser Anzeige gegen den Wirt und sorgte dafür, dass Adolf Looser ein anderes Gasthaus als Unterkunft besorgte. Punkt. In diesem Gasthaus müssen Fritz und Adolf ihre erste glückliche Zeit verbracht haben. Denn die Wirtsleute waren nett zu ihnen, keine Prügel mehr und nicht mehr schwere Arbeiten zu verrichten.
Etwa um 1923 herum muss dann der Vater gestorben sein. Komma. Denn die Dreierfamilie wurde auseinandergerissen. Und Fritz kam zu einem Pflegevater, einem Bauern in Niederglatt. Hier begann wieder die Hölle:
Schwere Arbeit, Prügel, um vier Uhr aufstehen, um Kühe zu machen, die Pferde im Fluss baden, auch im Winter.
Fritz ging damals in die Sekundarschule, unterwarf sich den schulischen Anforderungen sehr stark und wurde ein sogenannter guter Schüler. Er war nicht der einzige Pflegesohn auf dem Bauernhof, da waren noch zwei, die wie er oftmals selbst in der Schulpause nach Hause mussten, um zu arbeiten. Fritz entzog sich dieser Anordnung manchmal, indem er im Schulzimmer blieb, außer Reichweite des Pflegevaters, und dort die Schulaufgaben machte, für die er sonst den ganzen Tag über keine Zeit hatte. Die Schule war für ihn wohl ein sehr angenehmer Ort, weil er dort nicht arbeiten musste.
Trotz der ermüdenden und unmenschlichen Arbeit war der Bauernhof in Niederglatt besser als das erste Wirtshaus in Zürich. Punkt. Hier gab es kaum mehr Prügel. In jenem Wirtshaus wurde Fritz einmal an den Füßen aufgehängt und der Wirt zerschlug ein Luftgewehr an dem aufgehängten Körper. Dieses Erlebnis vergaß er nie mehr. Und sie hatten genug zu essen, während sie vorher manchmal ihre Mahlzeit aus den Kaninchenstellen zusammenstehlen mussten.
Nach der Sekundarschule arbeitete er ein halbes Jahr in der Maschinenfabrik Oerlikon (...).Vom 3. Mai 1927 bis zum 3. Dezember 1927 erarbeitete er sich also den Lebensunterhalt in dieser Fabrik als Handlanger und Schlossergehilfe, wie es im Arbeitszeugnis heisst - gerade mal für 60 Rappen in der Stunde.
Nachher wäre er gerne Lokomotivführer oder Lehrer geworden, aber zur Ausbildung fehlte das Geld. Und so musste er eine Gärtnerlehre anfangen. Der soziale Aufstieg fand nicht statt.
In Grüt bei Wetzikon im Kanton Zürich absolvierte er die Lehre und arbeitete dann an verschiedenen Orten. In Baden (Gärtnerei Weber, Gärtnerei Schiers), Bad Schinznach, Vevey und auch Neuhausen, wo er es zum Vorarbeiter brachte. Aus der Zeit in Vevey sind noch einige Fotos vorhanden. Es muss eine ziemlich glückliche Zeit gewesen sein.
Freunde, Mädchen, Parkanlagen sind auf den Fotos zu sehen. Auf einem Foto präsentiert sich Fritz als amerikanischer Gangstertyp, Hut ins Gesicht geschoben, schick gekleidet. In Baden lernte er seine erste Frau kennen: Anna Zimmermann, die er 1934 heiratete.
Er erzählte manchmal von seiner Arbeit in Baden, wie er früh aufstehen musste und wie er und die anderen Arbeiter mit einem grossen Handwagen in der Stadt Waren umherführten.
Die Ehe blieb kinderlos und als Fritz im Zweiten Weltkrieg an der Grenze stehen musste, verschwand seine Frau mit einem Sektenpfarrer namens Engel. Das war zur Zeit, als Fritz den nächsten Versuch eines sozialen Aufstiegs unternahm und eine kleine Gärtnerei in Rapperswil gepachtet hatte. Zusammen mit einem Arbeiter betrieb er die Landschafts - und Gemüsekulturen, während die Frau kaum mithalf. Das Geschäft blühte, bis er 1939 ins Militär einrücken musste, nur wenig Sold bekam und doch den Pachtzins bezahlen musste. Das muss eine schlimme Zeit gewesen sein, dort oben in den Bergen untätig herumzusitzen, während zu Hause das Geschäft verfiel. In anderen Einheiten war es zu Meutereien gekommen, weil die Herren Offiziere - in Zivil Fabrikdirektoren und Verwaltungssitzinhaber- erzählten, jeder müsse halt jetzt seine Opfer bringen (...).
Fritz musste auch, wie viele Soldaten, jeden Morgen anhören, wie die Offiziere von den Siegen der Deutschen erzählten, und er sah auch, wie sie sich in die Festungen verkrochen, wenn die Gefahr eines deutschen Angriffs grösser wurde, währenddem die Soldaten vorne als Kanonenfutter geopfert werden sollten (...).
Nach dem Krieg und nach dem Scheitern des Versuchs, selbstständiger Gärtner zu werden, schrieb er in einem Inserat in einer Gärtnerzeitung, dass er eine Gärtnerin als Frau suche . Daraufhin antwortete ihm eine Frau Hugentobler aus Neukirch und schlug ihm vor, sich bei ihr vorzustellen. Das Ehepaar Hugentobler, die Eltern zweier Mädchen und einem verwöhnten Schwachsinnigen, suchte jemanden, der ihre Gärtnerei übernehmen könnte. Sie selbst waren schon alt, sie hatten Mühe, ihren Lebensunterhalt zu erarbeiten und das Geschäft war schon in schlechtem Zustand. Die Setzlinge standen immer noch in den Kisten herum, einige Gärten waren nicht gejätet worden.
Nun also boten sie Fritz an, die Gärtnerei als Pächter zu übernehmen, damit sie vom Pachtzins von 166 Franken im Monat zwar bescheiden, aber immerhin leben konnten. Doch aus der Erfahrung mit der letzten Gärtnerei war Fritz diesmal vorsichtig. Er liess von einem Gärtnermeister in Weinfelden ein Gutachten erstellen. Weil mit der etwas heruntergekommenen Gärtnerei aber nicht der Pachtzins den Lebensunterhalt für die alten Hugentoblers erwirtschaften werden könne, riet er von der Übernahme ab. Daraufhin hat Fritz keinen der zahlreichen Pachtverträge unterschrieben .
Hugentoblers müssen wohl in einer ziemlich verzweifelten Lage gewesen sein, denn sie brauchten einen Pächter, um weiterleben zu können. Dem Gutachten des Gärtnermeisters zufolge hätten die Zinsen der Verkaufspreise zum Leben nicht ausgereicht.
Fritz hat dann die Gärtnerei trotzdem während einigen Monaten geführt. Doch der Zins, den er Hugentoblers geben konnte, wurde immer kleiner. Im ersten Monat noch 140 Franken, im zweiten 82, im dritten nur noch 35 Franken 50. Schließlich mussten sie aufgeben.
Guten Tag Herr Heinz Looser
Ja leider gab es und wird es auch immer wieder solch schmerzvolle Lebensgeschichten geben
Mit Dank für's Teilen, hier noch eine von viel zu vielen :
hls-dhs-dss.ch/de/articles/048...
Mit freundlichen Grüssen
Renata