Aus dem Leben der Verena Huter-Sidler 8. Neuhaus SG und Ebmatingen ZH
8. Neuhaus SG / «Chastell»
ca. 1940 - 1941
Fräulein lda hatte eine Schwester, die seit 30 Jahren in Zürich bei einer alten Dame in Stellung war. Diese Dame war gestorben, und Frl. Rüegg kam nach Hause. Sie hatte einiges an Mobiliar geerbt und brauchte nun unsere Wohnung, um sich dort einzurichten.
Also hiess es wieder einmal "Zügle". Wir fanden in Neuhaus eine Wohnung in einem einfachen Haus, das einer alten Jungfer, namens Albertine Ramensberger, gehörte. Das Haus lag an einem Hügel, man nannte es "Chastell". Vielleicht gab es in der Nähe eine Ruine, daher der Name, ich weiss es nicht. Die Wohnung war sauber, heimelig und hatte kleine, niedere Zimmer. Das Wasser mussten wir draussen am Brunnen holen und aufs WC mussten wir aus dem Haus, dort war ein hölzernes Hüüsli angebaut. Ich kann mich noch gut erinnern, oft musste man im Winter zuerst den Schnee weg wischen auf der "Sitzfläche", weil es ihn durch die breiten Ritzen hineinwehte. Fräulein Ramensberger wohnte auf der anderen Seite des Hauses, sie hatte auch kein fliessendes Wasser im Haus. Immer wieder hörten wir, dass sie sehr reich sei, sie lebte aber sehr bescheiden. Viel Zeit widmete sie ihren Bienen. Diese Arbeit bewältigte sie noch mit 80 Jahren ohne jede Hilfe. Mein Vater baute sich einen Hasen-Stall, er hatte viel Erfolg mit seinen Chüngeln und bereicherte damit unseren Speiseplan, indem dann hie und da einer sein Leben lassen musste. Chasper arbeitete noch kurze Zeit als Ausläufer. Der Metzgermeister wollte ihn überreden, den Beruf eines Metzgers zu erlernen. Er hätte bei ihm in die Lehre gehen können, ohne ein Lehrgeld zu bezahlen, doch Chasper wollte Geld verdienen. Er sagte, dass er ihm bereits jetzt einen Gesellen ersparen würde und lange lasse er sich nicht mehr ausnützen. Mit dem Velo und einer grossen Chrätze auf dem Rücken machte er jeden Montag und Freitag seine Tour. Die anderen Tage musste er im Schlachthaus helfen und Bestellungen von Hotels und Restaurants austragen. Unzählge Kilometer strampelte er ab mit seinem Velo, zudem war die "Chrätze" angefüllt mit Würsten jeder Art, Kutteln, Innereien, Speck usw. Die Leute wussten, um welche Zeit er ungefähr vorbeikommen würde und jeder wollte etwas Preisgünstiges ergattern. Fleischwaren wurden nur in Papier eingewickelt ohne Gewichts-Angabe, nur der Preis war angeschrieben. Unser Vater stand meistens am Fenster. Wenn er Chasper erblickte, rief er: "Aha, de Huttliträger chunt!". Ich weiss nicht, woher der Uebername kommt, aber Vater war ja in solchen Sachen sehr bewandert. Chapser sagte noch mit 70 Jahren zu mir: "Weisst Du noch, wie Vater mir oft nachrief: "Huttliträger, Beinelicheib hed de Grind voll 91 Eiterzöttu, Eiterzöttu". "Ja, ja, ich war halt immer der Düppu, Düppu, doppu Düppu" Es gab keine Besuche, ohne dass nicht diese alten Geschichten aufs Tapet kamen. Chasper fand dann eine Stelle in Ermenswil, in einer Metall-Federnfabrik. Von winzigen Federn bis zu riesigen Dingern (wohl für Eisenbahnen usw.), wurde dort alles hergestellt. Xaver arbeitete in Rapperswil, in der Fa. Weidmann AG.
Ebmatingen ZH
Ich aber hatte in der Weberei in Eschenbach gekündigt und musste mich nach etwas anderem umsehen. Ich kann noch so darüber nachgrübeln, wie es dazu kam, dass ich nach Ebmatingen ZH, ging, es nützt nichts.
Nun muss ich zurück gehen zu der Zeit, als wir noch in Nieder-Uster wohnten. Erna war etwa 4 Jahre lang bei uns im Schiff, da lernte sie einen Mann kennen. Der war nicht mehr jung und wirklich sehr hässlich, er hatte sehr kurze stämmige Beine und ebensolche Arme, dazu einen sehr grossen Kopf, der überhaupt nicht zum ganzen passen wollte. Dieser Mann war aber sehr reich, er hiess Walti und kam oft zu uns ins Restaurant, natürlich wegen Erna, nehme ich an. Er besass in Ebmatingen einen Land-Gasthof und einen mittleren Bauernbetrieb, die Arbeit auf diesem wurde hauptsächlich von einem Knecht gemacht. Walti befasste sich mit Liegenschafts-Handel und war oft den ganzen Tag auswärts. Als er um Erna warb, lebte seine Mutter noch und führte das Zepter im Gasthof zum Wilden Mann. Walti und Erna heirateten und, ich glaube kaum, dass unsere Mutter noch viel Kontakt mit den beiden hatte. Darum wunderte es mich eigentlich, wie es kam, dass ich nun zu Erna und Walti in Stellung ging. Mutter meinte: "Es ist sicher gut, wenn Du auch einmal von zu Hause weggehst, lernen kann man überall etwas, und bei Erna wirst Du es gewiss recht haben, denn sie war ja bei uns auch wie zu Hause in den 4 Jahren".
So packte ich also meinen Binsenkorb und ging nach Ebmatingen. Erna zeigte mir mein Zimmer und hiess mich auspacken. Während ich meine wenigen Sachen in einen Schrank räumte, schien mir Erna nervös zu sein, sie verdrehte die Augen (genau wie früher) und meinte: "Da Du zu Walti und mir "Du" sagst, wird es wohl das beste sein, wenn wir sagen, dass Du eine weit entfernte Verwandte bist von Walti, dann werden die Leute denken, er sei so eine Art Onkel zu Dir". Das konnte ich nun wirklich nicht verstehen (ich war immer etwas schwer von Begriff). Ich wollte Erna fragen, warum man denn nicht die Wahrheit sagen könne, aber als ich mich umdrehte, war sie verschwunden. Als ich abends im Bett lag, kam mir die Erleuchtung. Erna war nun die Frau eines reichen Mannes, sie schämte sich wohl zu sagen, Vrenely sei das Kind von ihrem ehemaligen Arbeitgeber. (obwohl dies 92 sicher bekannt war, denn Nieder-Uster ist ja nicht weit entfernt von Ebmatingen). Später erzählte mir Mutter, wie es gewesen war, als sie Erna als Serviertochter einstellte. Also Erna stammte aus Kärnten. Als sie in Nieder-Uster ankam, trug sie ihre Habseligkeiten in einer Kartonschachtel. Mutter wusste, dass Erna aus erbärmlichem Milieu stammte. Anstand und Betragen habe sie ihr von Grund auf beibringen müssen. Weder im Haushalt noch im Service an Ordnung gewöhnt, war sie für Mutter eine grosse Belastung. Trotzdem brachte sie es nicht fertig, Erna wegzuschicken. Kein einzigesmal hörte ich, dass Mutter Erna gegenüber ein böses Wort fallen liess, auch wir Kinder mussten Erna gehorchen und höflich sein. Xaver war der einzige, der sich hie und da ein freches Wort erlaubte (er mochte Erna nicht). Geschah dies, so rannte sie zu unserem Vater um sich zu beklagen, ihr hatte Xaver etliche Schläge zu verdanken. Was Erna konnte, als sie heiratete, hatte sie der Tüchtigkeit meiner Mutter zu verdanken. Es ist nicht so, dass ich in Ebmatingen schlecht behandelt wurde, an Haushaltarbeiten war ich ja gewöhnt, und diese unterschieden sich nicht wesentlich von denen bei Frl. lda oder dem Haushalt meiner Familie. Aber Erna wollte wohl erzieherisch auf mich einwirken (obwohl sie dazu völlig ungeeignet und auch zu dumm war), indem sie mir befahl, den Schweinestall auszumisten oder dem Knecht im Kuhstall zu helfen, mit den Worten: "Niemand ist zu nobel für schmutzige Arbeit". Hatte sie das wohl aus Goethes-Werken? Ob es Erna war oder Walti, weiss ich nicht mehr, auf jeden Fall wurde ich auf ein grosses Feld geschickt, um dort "Randeplacken" auszustechen. Das sind grossblättrige Pflanzen, ähnlich den Rhabarbern. Man sieht sie oft auf abgeweideten Wiesen, sie werden von den Kühen nicht gefressen. Ausgestattet mit einer Art Spitzeisen, war es meine Aufgabe, stundenlang diese Pflanzen auszustechen. Dabei muste man tief ins Erdreich dringen, um die Wurzeln zu erwischen. Dann wurde das Unkraut aufgeschichtet und, wenn es dürr war, verbrannt. Zu dieser Arbeit schickten sie mich einige Nachmittage, und zwar nacheinander und allein. Wenn man sich eine grosse Wiese voll von diesem elenden Unkraut vorstellt und weiss, dass man allein mit einem schweren Spitzeisen diese zu säubern hat, weiss man auch, wie trostlos eine solche Arbeit ist, ganz abgesehen von den Rückenschmerzen und den Blasen an den Handflächen. War abends viel los im Gasthof, durch eine Versammlung oder durch den Besuch eines Vereins, musste ich der Serviertochter helfen. Da mich mittlerweise die Leute in Ebmatingen kannten, bekam ich viel "Trinkgeld", oft mit den Worten: "Das ist für Dich, Vreneli, "in Hochzig-Strumpf'. Erna aber stellte ein Glas auf. In dieses hatte ich das Trinkgeld zu 93 werfen. Nach Feierabend wurde es von Erna gezählt und die Hälfte davon weggenommen mit den Worten: "Dieser Teil ist für die Serviertochter" (warum eigentlich)?. Jeden Monat schrieb ich nach Hause, dem Brief legte ich den grössten Teil meines Verdienstes bei, (es war wenig genug). Ich brauchte nur wenig Taschengeld, im Dorf bekam man alles, was nötig war. Ich ging während dieser Zeit bei Erna ein einziges Mal nach dem nahe gelegenen Zürich. Eines Tages gab mir Erna den Auftrag, sämtliche Betten neu zu beziehen, die von ihr und Walti inbegriffen. Als diese nun an der Reihe waren, entfernte ich die schmutzigen Bezüge von Kissen und Decken. Als ich die Leintücher entfernte, sah ich in einem Bett einen Haufen Lumpen liegen, ein grosses Stück eines alten Vorhangs, ein ausgefranztes Frottiertuch, einen zerlöcherten Lismer, usw. Ich wollte mir die Sachen näher betrachten, aber da stieg mir ein solch widerlicher Geruch in die Nase, dass ich schnell den Kopf abwenden musste. Ich wusste nicht, was ich mit dem Zeug machen sollte, kam das etwa auch in die Wäsche? Ich suchte Erna auf und fragte sie: "Was geschieht mit den schutzigen Lumpen in euerem Bett?" Ernas Reaktion sehe ich heute noch vor mir, sie schlug die Hände über dem Kopf zusammen mit den Worten: "Jesses Gott im Vater" Auf ihren leicht krummen Beinen eilte sie die Treppe hoch ins eheliche Schlafzimmer, dort raffte sie das Leintuch samt den unappetittlichen Lumpen zusammen und presste sich das Bündel unter den Arm. "Du darfst keinem Menschen sagen, was Du da gesehen hast", und wieder verdrehte sie die Augen wie gewohnt, so dass ich befürchtete, diese würden nie mehr in die richtige Stellung kommen. "Es ist nämlich so: Walti hat eine ganz schlimme Krankheit, ha, ja eine sehr schwere Krankheit, immer wieder nickte sie traurig mit dem Kopf (der übrigens ganz rot war), als wolle sie bekräftigen, wie nahe Walti dem Tode sei. Was denn das für eine Krankheit wäre, fragte ich voller Anteilnahme? Sie würde mir das dann später einmal sagen, jetzt wäre ich noch zu jung. Sollte es mir denn total entgangen sein, wie es mit Waltis Gesundheitszustand bestellt war? Ich nahm mir vor, ihn nun genauer zu betrachten. Er tat mir sehr leid, mir fiel aber nichts auf, das auf seinen baldigen Tod schliessen liesse, er sah aus wie immer, klein, dick und sehr gesund. Er wurde übrigens fast 80 Jahre alt, wie ich durch Bekannte vernahm.
Ein Offizier und Gentleman
Als ich mich zirka 1 1/2 Jahre dort aufhielt, durfte ich für 3 Tage nach Hause. In Rapperswil musste ich lange warten, bis mein Zug nach Schmerikon kam . Von dort gab es dann ein Postauto nach Neuhaus. Damals war ja immer viel Militär unterwegs, so auch in Rapperswil. Ich ging in den Wartesaal, um mir die Zeit mit Lesen zu verkürzen. Als ich sah, dass dieser voller Soldaten war, beschloss ich einen Schaufensterbummel zu machen. Es ging schon gegen Abend zu , ich bewunderte die Schuhe in einer Auslage, als ich merkte, dass jemand sehr nahe hinter mir stand. Ich drehte mich um. Es war ein älterer, dunkel gekleideter Mann, der mich anstarrte. Ich ging weiter, um bei einem Kleider-Geschäft Halt zu machen, der Mann stand wieder hinter mir. Nun wurde es mir unbehaglich, ich lief schnell weg, bog um eine Ecke und stand wieder vor einer Auslage. Kurze Zeit darauf stand er so dicht neben mir, dass er meine Achsel streifte. Nun hatte ich wirklich Angst, wenn er doch wenigstens etwas gesagt hätte, aber nein, er starrte mich nur an und dies durch dicke Brillengläser. Nun rannte ich einfach los, in welche Richtung, war mir im Moment nicht wichtig. Als ich bei einer Treppe, die hoch hinauf führte zu einem kleinen Tierpark, Halt machte um zu verschnaufen, blickte ich mich um, und tatsächlich da kam er auch schon. (Er war wohl doch noch nicht so alt). Ich überlegte, ob es wohl ratsam war, die Treppe hinauf zu laufen oder ob ich zum Bahnhof zurück und mich dort unter die Leute mischen sollte. Er war schon sehr nahe. Da sah ich einen Soldaten die Treppe hinunter kommen, d. h. es war ein Offizier. Das erkannte ich an seiner Kappe mit dem gelben "Bändeli". Er wollte an mir vorbei, aber ich schnitt ihm den Weg ab: "Bitte würden Sie nicht ein bisschen bei mir stehen bleiben, dieser alte Mann dort läuft mir ständig nach, wo ich auch hingehe. Ich zeigte mit dem Finger auf den Mann (nicht gerade anständig), und der Offizier sagte: "Meinst Du, den dort mit der Brille?" Als der Mann sah, dass ich im Gespräch war mit einem Offizier und auf ihn deutete, gab er Fersengeld und wie! "So, hast Du Dich wieder etwas beruhigt?" fragte mein Begleiter. "Ja, ich hoffe nur, dass er nicht mehr zurückkommt". "Wohin musst Du denn überhaupt?" Nun erklärte ich, dass ich mich auf dem Heimweg befände, jedoch noch zirka eine Stunde auf den Zug warten müsse. Er sah auf seine Uhr und meinte, "Ich habe noch genügend Zeit, gehen wir doch zusammen hinauf zum Tierpark". Dort setzten wir uns auf eine der Bänke, und ich erzählte ihm von meiner Stellung als Dienstmädchen in Ebmatingen und dass ich für 3 Tage nach Hause dürfe. Erfragte, "Wie alt bist Du denn?" "Ich werde bald 19 Jahre". "Was! Du bist schon 19 Jahr alt und ich Duze Dich einfach, ich dachte Du wärst etwa 16" (das hörte ich nicht so gerne). "Ach,das macht doch nichts, mich duzen alle Leute". "Sag mal, fuhr er dann fort, bist Du eigentlich immer so zutraulich?" "Wie meinen Sie das?"" Nun ich bin doch ein völlig fremder Mann für Dich, hast Du denn keine Angst? Nun ja, irgend einer könnte die Situation ausnützen". "Also vor dem Mann mit der Brille, vor dem hatte ich riesig Angst, aber vor Ihnen doch nicht, mein Vater sagt immer, ich hätte einen ausgesprochenen "Instinkt" wie ein Tier oder so und zu einem Soldaten hätte ich sowieso jederzeit Vertrauen". Er sah mich erstaunt an. "Du denkst also, unter jeder Uniform stecke ein Ehrenmann?" "Ja davon bin ich überzeugt". "Vertrauen ist ja etwas sehr Schönes", meinte er, "aber Vorsicht ist besser". "Haben Sie vielleicht kein Zutrauen zu den Menschen?" "Nicht so bedingungslos wie Du". Da er mir so nachdenklich schien, fragte ich: "Sind sie vielleicht traurig?" "Manchmal schon". Um ihn etwas aufzumuntern, fing ich an zu erzählen: "Wissen Sie, vor ein paar Jahren, es war an einem Weihnachtsabend, da war ich auch sehr traurig, trauriger als an jenem Abend kann man glaube ich gar nicht sein. Aber in jener Nacht passierte mit etwas sehr Schönes, ich wusste plötzlich, dass sich jeder Mensch in seinem Innersten ein kleines Plätzchen einrichten kann und zwar nur für sich ganz allein, so, dass man sich immer dorthin zurückziehen kann, wenn man glaubt, jede Hoffnung verloren zu haben. Niemand könnte einem folgen und niemand wüsste von diesem Ort. Wenn man dann dieses kleine Plätzchen wieder verlassen muss, nachdem man es gut abgeschlossen hat, erscheint einem alles nur noch halb so schlimm. Möchten Sie das nicht auch einmal probieren?" Er lächelte mich an. "Das hast Du sehr schön erzählt, schade, dass ich schon zu alt bin, um mir so etwas aufzubauen, dazu braucht es wohl ein reineres Herz als das meine. Trotzdem, es freut mich, dass Du da eine kleine Welt hast für Dich ganz allein und ich hoffe sehr, dass es nie jemanden gibt, der sie Dir zerstören kann". "Sie sind der einzige Mensch", sagte ich zu ihm, "dem ich davon erzählt habe". Das schien ihn zu freuen, er legte mir seinen Arm um die Schultern, und wir sassen lange da ohne zu reden. Dann wurde es Zeit zum Bahnhof zu gehen, ich hängte mich bei ihm ein, zwar ein sehr ungleiches Paar und trotzdem voller Harmonie. Als mein Zug kam und ich einsteigen musste, küsste er mich auf die Wangen, eindrücklich sah er mich an und meinte: "Bitte, pass auf Dich auf, sei nicht gar zu vertrauensvoll", "Machen Sie sich nur keine schweren Gedanken, mir passiert schon nichts".
Es war schön, wieder zu Hause zu sein und wenn auch nur für 3 Tage. Vater und Mutter freuten sich ebenso, da es aber schon spät war, gingen wir bald zu Bett. Mutter sagte: "Morgen erzählst Du uns dann ausführlich wie es so ist in Ebmatingen". Es kam aber anderntags vorläufig nicht dazu. Schon beim Morgenessen heftete meine Mutter ihre Augen auf meine rechte Hand. "Mir ist schon gestern Abend aufgefallen, dass wohl mit Deiner Hand etwas nicht in Ordnung ist oder besteht da nur eine dumme Angewohnheit, diese zur Faust zu ballen?" "Weisst Du, Mutter, es tut ein bisschen weh, wenn ich sie ausstrecke". Mutter fasste danach, nicht grob, aber ziemlich resolut, öffnete sie mir die Faust. Ich zuckte zusammen und aus den Handlinien traten einige Blut-Tropfen. Mutter entfuhr es entsetzt: "Ach Gott!" Sie holte die Büchse mit Zinksalbe, behutsam bestrich sie die Handfläche und wickelte Verbandstoff darum. Als dies geschehen war, sagte sie: "Und nun möchte ich die ganze Wahrheit wissen". In Vaters Gesicht, der auf seinen Stock gestützt das Ganze mitangesehen hatte, arbeitete es wie früher, wenn ein Gewitter ausbrach, und seine Zornesader war dick angeschwollen. "Ich glaube, dass ich die Hände nach dem Waschen zuwenig abgetrocknet habe". Mutter unterbrach mich: "Wir wollen die Wahrheit wissen, also fang an". Nun erzählte ich alles, wirklich alles, weder Vater noch Mutter unterbrachen mich. Erst als ich fertig war, fing Vater an zu fluchen, wie eh und je. "Da bewahrheitet sich das alte Sprichwort wieder einmal" "Lass keinen Bettler aufs Ross steigen, sonst reitet er es zu Tode". Mutter aber hatte zu ihrem Schreib-Block gegriffen, die Feder flog nur so über das Papier. Vater und ich schwiegen, nur das Kratzen der Feder war zu hören. Dann faltete sie das Geschriebene zusammen, steckte es in ein Couvert und klebte es zu. "So!" meinte sie, "das wäre erledigt, ich hoffe nur, dass Erna in den vergangenen Jahren besser zu lesen gelernt hat, es wäre schade um jedes Wort, das ich geschrieben habe". "Nun werden die beiden aber böse sein auf mich, wenn ich retour komme". "Ja glaubst Du etwa, wir lassen Dich nochmals zu denen?" "Aber ich muss doch kündigen!" "Nicht in diesem Fall!", "Aber ich muss doch meine Sachen", "auch das musst Du nicht". "Erna wird sie Dir per Post schicken und, wie ich glaube, recht bald und vollständig. Ich habe nämlich angedroht, dass ich diese sonst persönlich abholen werde. Dieses Risiko geht sie niemals ein". Mutter hatte recht, schon bald brachte der Postbote 2 Kartonschachteln, es fehlte nichts.
Langsamverkehr, zum Beispiel mit der Polybahn in Zürich
Langsamverkehr ist in aller Munde...Momente der Geruhsamkeit in der Hektik des Alltags, beispielsweise bei der Fahrt mit der Standseilbahn vom Central zur Polyterrasse. UnsereGeschichte lädt ein zum Zeigen von Dokumenten zu solchen Momenten, beispielsweise in der Galerie https://unseregeschichte.ch/galleries/langsamverkehr.