Wir analysieren die anonymisierten Daten unserer Besucher und Mitglieder, um unser Angebot und den Inhalt der Website besser auf Ihre Bedürfnisse abzustimmen. Diese Website setzt beispielsweise zur Analyse des Datenverkehrs auch Cookies ein. Sie können die Speicher- und Zugriffsbedingungen für Cookies in Ihrem Browser einstellen. Zusätzliche Informationen.
Was bietet unsereGeschichte.ch? Was wollen wir mit unserer Plattform? Unsere Antwort in einem kurzen Video.
Auf Top-Liste gesetzt
Aus dem Leben eines Amateurs

Aus dem Leben eines Amateurs

10 April 2025
Monique Wittwer.
Monique Wittwer.

(Text von Köbi Gantenbein)

Mein Leben als Musikant hat in der Stube meiner Grosseltern im Prättigau begonnen. Da stand ein Grammophonmöbel. Eine stattliche Truhe, in die ein Radioapparat eingebaut war. Hinter einer Falltüre gab es einen Plattenspieler mit den Geschwindigkeiten 77 für die Schellackplatten, 33 und 45 für die Schallplatten aus Vinyl. Im Gestell neben dem Möbel hatte mein Grossvater eine flotte Parade aufgereiht von Slavko Avseniks Oberkrainern bis zu Peter Zinslis Bündner Ländlermusig. Auch hatte er noch ein paar uralte Schelllackplatten mit der Musik von Kasi Geisser aus der Innerschweiz und von Luzi Bergamins Studenten-Ländlerkapelle aus Bern.

Oft am Sonntagnachmittag sass ich vor der Truhe, hörte Volksmusik und so standen alle Zeichen gut, dass ich einmal Volksmusikant werden würde. Zumal mein Grossvater beherzt das B-Horn geblasen hat. Ab und zu durfte ich mit ihm unterwegs sein und ich liebte den Duft der Toscani-Wolken in den Wirtshaus-Sälen. Nie habe ich das «Bündner Maiteli» seliger tanzen gesehen, als wenn die Kapelle meines Grossvaters den Schottisch von Hirsch Dicht als Zugabe zum Besten gab.

Meiner Volksmusigkarriere machte Fräulein Mettier ein Ende. Sie war meine Klavierlehrerin und liebte Clementi und Mozart, nicht aber Luzi Bergamin und Stocker Sepp. Jeweils am Mittwochnachmittag tippelte sie über das Strässchen zu unserem Haus. Sie kam in die Stube, legte ab und sass neben mich ans Klavier. Sie sagte «Für Elise». Sie meinte das Rondo in A-Moll von Ludwig van Beethoven. Mein erster Beethoven! Und also torkelte ich über die Tasten. Fräulein Mettier klopfte mit einem roten Farbstift den Takt. Da die einen Passagen schwieriger sind als die anderen, verlor ich unterwegs Leichtigkeit und Musik. Da nützte es nichts, wenn sie – unbewusst und hilfsbereit – energischer mit dem Stift klopfte. Dann rückte ich zur Seite, sie spielte mir zehn Takte vor, ich spielte sie ihr nach. Wochenlang. So wurde ich ein Nachspieler, was mir bis heute zu gut kommt, denn etliche Stückli lerne ich nachspielend – Ils Fränzlis da Tschlin klingen aus dem Lautsprecher, ich höre zu und spiele auf der Klarinette nach, was sie vorspielen. Tagelang.

Fräulein Mettier wollte aus mir einen klassischen Pianisten machen. Dabei hat ihr Wysel Gyr geholfen. Er leitete seit den Sechzigerjahren das Ressort «Heimat» von Fernsehen DRS. Als Bub haben mir seine Sendungen gut gefallen und ich schaute sie am Sonntagnachmittag. Als Jüngling habe ich die Liebe für die Heimat, die aus seinen Sendungen tropfte, nicht mehr ertragen. Es kam für mich nicht mehr in Frage, mich jemals wieder dieser Musik zu widmen. Ich wendete mich ab von Kasi Geisser, den Huserbueba und der Kapelle Heirassa und machte Lärm in einer Popkapelle.

Der Lebensfaden meinte es aber gut mit mir. Ich zügelte nach Zürich, um an der Universität etwas zu werden. An einer Feier des 1. Mai in Zürich hörte ich die Kapelle «Züri Dorfmusig». Und wusste, da will, da muss ich mitmachen. «Avanti Popolo», «Primo Maggio a Havanna», «Se otto ore» – das ist wunderbare Volksmusig, zügig, schnell, tutti gradaus. Sie versetzte Wysel Gyr und die Heimattreuen in Angst und Schrecken. Doch ein Pianist, auch ein mittelprächtiger wie ich, war für die Kapelle nicht nützlich. «Wir brauchen eine Klarinette», hiess es. Und so machte ich mich ans Üben mit Nachspielen, was meine künftigen Kameraden vorspielten. Und bald spielte ich an Demonstrationen für die Weltverbesserung und half an Festen mit, die linksgrüne Gemeinde mit Tanzmusik zu versorgen. Oder Wahlkampf zu machen – so reiste meine Kapelle mit Jaqueline Fehr, der SP-Kandidatin für den Regierungsrat, im Postauto durch den Kanton Zürich. Es war ein heiteres Vergnügen, wenn wir auf wahlkämpfende heimatfrohe SVPler trafen – sie ohne, Jaqueline Fehr mit Volksmusig.

Seit vielen Jahren bin ich nun Klarinettist in der Kapelle, die nach ein paar Häutungen aus der «Züri Dorfmusig» kam. Wir sind zehn Musikantinnen und Musikanten pflegen das proletarische Liedgut von «Bella ciao» bis zu Hanns Eislers Liedern, von Klezmermusik aus der Ukraine, Tangos aus Polen bis zur Musik, die Nino Rota für die Filme von Federico Fellini geschrieben hat. Wir spielen auch Ländler, Mazurken und Walzer aus dem Unterengadin, die das Herz von Wysel Gyr zum Hüpfen brächten. Ich bin als mittelprächtiger Klarinettist umringt von hervorragenden Musikantinnen an Handorgel, Geige und Pauke und von Virtuosen an Flügelhorn, Tuba, Posaune, Saxofon und Trommel. Und wir feiern, was vielen Kapellen von Pop über Jazz bis Volksmusig eigen ist – wir machen Musig landauf und ab und essen gerne gut nach dem Konzert.

Altwerden gilt freilich auch für Volksmusikerinnen und -musikanten. Vor dreissig Jahren begannen wir am späteren Abend und spielten bis in den Morgen. Nun sind wir ältere Herrschaften und gegen 23 Uhr geht uns die Luft aus. So haben wir ein neues, populäres Musikformat entwickelt: Die Suite. Ich schreibe zu einem Thema ein Libretto, das ich dann auf der Bühne erzähle. Dazu läuft ein Bogen aus Fotografien und Videos. Und wir passen Walzer, Galopp, Marsch, Mazurka, Son, Klezmer und Tango ein. Die Themen reichen von Landschaft bis zu Klimapolitik, von der Geschichte des Waldes bis zur Biografie von Clara und Leonhard Ragaz. Je nach Suite passen wir den Namen unserer Kapelle an und heissen «Kapelle Alpenglühn’», «Försterkapelle», «Kur- und Verkehrsorchester» oder «Bandella delle Millelire». Und aus meiner Kindheit habe ich den Schottisch mitgenommen, den ich allen Varianten mittlerweile gut kann und der mich an meinen Grossvater erinnert – meist als Zugabe gibt es «Ds Bündner Maiteli».

Köbi Gantenbein war viele Jahre lang Chefredaktor und Verleger von Hochparterre. Er spielt Klarinette und ist der Korrespondent für Volksmusig von «Z Alp», der Zeitschrift für Älplerinnen und Älpler. Er lebt in Fläsch im Kanton Graubünden. kgantenbein@rsnweb.ch.

Zum obigen Bild: Die Kapelle Alpenglühn’ wartet auf den Auftritt in der Jazzkantine Luzern. Von links nach rechts, Lilly Reisch, Köbi Gantenbein, Roland Eberle, Hepl Caprez, Alice Heri, Bettina Truninger, Heini Fümm, Peter Muster, Rita Muster, Werner Fessler. (Bild Monique Wittwer)

Sie müssen angemeldet sein, um Kommentare verfassen zu können
25 April 2025
54 Klicks
1 Like
0 Favoriten
1 Kommentar
1 Galerie
377 Dokumente sind bereits mit 1960-1969 verknüpft

Galerien:

Netzwerk:
Unterstützende Stiftungen:
5,065
312
© 2025 unsereGeschichte.ch. Alle Rechte vorbehalten. Entwickelt von High on Pixels.