"Vogeljoggelis-Bethli" - Eine Erinnerung ans Ein- und Ausgeschlossenwerden am äusseren Weggistor
"Vogeljoggelis-Bethli" - Eine Erinnerung ans Ein- und Ausgeschlossenwerden am äusseren Weggistor
Wo Einkaufsfreudige heute beim "Chäschüechli-Stand" in die Hertensteinstrasse strömen, erhob sich einst ein massiver Turm, das sogenannte "äussere Weggistor". Dieser mächtige Bau, der bereits 1393 in schriftlichen Aufzeichnungen erwähnt wurde, diente ursprünglich als Wehrturm der Museggmauer. Bis zu seinem Abriss 1860 wurde er unter anderem auch als Gefängnis genutzt. Zwischen 1826 und 1832 war dort Elisabeth Wespi, bekannt als Vogeljoggelis-Bethli, inhaftiert.
Elisabeth Wespi wurde am 13. Oktober 1803 als uneheliches Kind heimatloser Eltern in Küssnacht geboren. Ihren Beinamen erhielt sie vom Vater, der als "Vogeljoggeli" bekannt war. Die Gründe für Heimatlosigkeit und das Vagabundieren waren damals vielfältig. In Luzern verloren viele Menschen ihre Bürgerrechte, etwa durch die Heirat mit einer nicht-katholischen oder ortsfremden Person, die Geburt eines unehelichen Kindes oder aufgrund finanzieller Schwierigkeiten. Diese Menschen besassen keine Rechte mehr, geringen sozialen Schutz und wurden heimatlos. Vagabunden wurde vorgeworfen, ein zu freies und ausschweifendes Leben zu führen, liederlich und arbeitsscheu zu sein sowie eine besondere Neigung zum Stehlen zu haben. Auch Vogeljoggelis-Bethli wurde später einiges davon vorgeworfen.
In einer kalten Winternacht am 26. Januar 1826 wurde Elisabeth Wespi zusammen mit anderen aufgespürt und verhaftet. Ihr wurden unter anderem 18 Diebstähle und Einbrüche zur Last gelegt. Aufgrund ihres jungen Alters verhängte man ihr eine besonders harte Strafe. Sie wurde zu 12 Jahren Zucht- und Eingrenzungsstrafe verurteilt. Damit sollte sie nicht nur möglichst lange von der Gesellschaft ferngehalten, sondern auch nachhaltig zu einer konformen Lebensweise erzogen werden.
Als Wespi ihre Strafe antrat, befand sich das Gefängnis im äusseren Weggistor bereits in einem desolaten Zustand. Dennoch waren dort mehrere Häftlinge untergebracht, sowohl Frauen als auch Männer. Am Ende ihrer Gefangenschaft brachte Wespi einen zweiten Sohn zur Welt. Zusammen mit ihm wurde sie 1832 nach Doppleschwand in die sechsjährige Eingrenzungshaft überstellt. Eingrenzen bedeutete damals, sechs Jahre lang die Gemeindegrenze nicht zu überschreiten. Für Vogeljoggelis-Bethli war dies eine schwierige Auflage, und kaum ein Jahr später galt sie bereits als flüchtig. Erneut geriet sie in die Mühlen der Justiz. 1864 verstarb sie 61-jährig in Doppleschwand, der Gemeinde, die ihr zugewiesen worden war, um ihrer Heimatlosigkeit endgültig ein Ende zu setzen.
Heute ist vom "äusseren Weggistor", dem zehnten Turm der Museggmauer, nichts mehr zu sehen. Der Turm wurde 1860 abgerissen, da er der Stadtplanung im Weg stand. Heute schlummern noch die letzten Reste davon im Boden. Die Geschichte von "Vogeljoggelis-Bethli" lässt das äussere Weggistor kurzzeitig wieder aufleben. In seiner letzten Funktion als Gefängnis erinnert der Turm an eine Zeit, in der die umherziehende Bevölkerung ein Dauerthema in der eidgenössischen Politik war – eine Zeit, in der der Bundesstaat im Entstehen begriffen war und noch viele Menschen keinen Platz darin fanden.
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Quellen: Datenbank Kantonsarchäologie Luzern / "Mit Pfeffer und Pfiff. Luzernerinnen zwischen 1798 und 1848", Hrsg. Frauenstadtrundgang Luzern, 1998, S. 73ff.
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