Vom Melker zum Goldgräber: ein ungewöhnlicher Luzerner Auswanderer
Am 13. Dezember 1929 erschien im «Cloverdale Reveille», einer kleinen kalifornischen Regionaltageszeitung, ein kurzer Nekrolog.
Der etwas holprige Text, wahrscheinlich eine Einsendung, lässt sich wie folgt übersetzen:
«Der Tod ereilt einen betagten Bürger.
Joseph Schneider war während über vierzig Jahren Einwohner von Preston.
Joseph Schneider, betagter und hoch angesehener Bürger von Preston, ist am letzten Sonntag gestorben. Mr. Schneider war Einwohner dieser Gemeinde für über 40 Jahre; er war als Patient der verstorbenen Mrs. Preston hierhergekommen.
Für einige Zeit betätigte er sich in der Milchwirtschaft im County Mendocino. Während des grossen «gold rush» nach Alaska verbrachte er dort fünf Jahre im Bergbau.
Er war gebürtiger Schweizer und hinterlässt keine bekannten Verwandten in diesem Land.
Mr. Schneider war bekannt für seinen redlichen und uneigennützigen Charakter. Er wurde 78 Jahre alt.
Die Bestattungsfeier fand im «Cobb Funeral Home» unter der Leitung von Rev. William H. Youngman statt. Das Begräbnis erfolgte auf dem Friedhof Riverside.»
Nichts in diesem Nachruf lässt darauf schliessen, dass der Verstorbene Josef Schnider ein Auswanderer aus dem Kanton Luzern war. Glücklicherweise lässt sich dank sieben Briefen, die Schnider von 1882 bis 1901 an seine Patin im Sörenberg schrieb, und zahlreicher im Internet greifbarer Dokumente sein farbiges Leben in Amerika nachzeichnen.
Josef Schnider wurde am 18. November 1854 als zweites von drei Kindern von Peter Schnider und Magdalena Unternährer im Sörenbergli (Gemeinde Flühli) geboren. Über sein Leben bis 1882 wissen wir nichts; wir können nur davon ausgehen, dass er bereits zuhause den Beruf eines Melkers und Käsers ausübte, nicht ungewöhnlich für einen Entlebucher.
Am 16. April 1882 kam Schnider mit einer grösseren Gruppe Schweizer auf dem Schiff «Saint-Laurent» von Le Havre in New York an. In der Passagierliste wird er als «farmer» bezeichnet, als sein Reiseziel wird Wisconsin angegeben. Tatsächlich suchte er, zunächst erfolglos, Arbeit im Gebiet der Grossen Seen, um schliesslich Verwandte in Chicago und Wheeling (Illinois) zu besuchen. Danach hat er in verschiedenen milchwirtschaftlichen Betrieben gearbeitet, bevor er sich entschloss, sein Glück in Kalifornien zu suchen. Spätestens 1885 war er in der Gegend von San Francisco, wo er an unterschiedlichen Orten arbeitete. Interessanterweise berichtete er unter anderem über ein Feuer, das über 50'000 «acres» Wald und Prärie sowie viele Häuser und Ställe vernichtet habe; Grund dafür war die herrschende Trockenheit. Immer wieder beklagte er sich in seinen Briefen über seine angeschlagene Gesundheit, was jedoch seinen eher unsteten Lebenswandel nicht zu beeinflussen schien. So fasste er den Plan einer Reise nach Hawaii ins Auge, brachte dann aber nicht die Geduld auf, den Abreisetermin abzuwarten.
Nach mehreren Anstellungen, vor allem in der Butterherstellung, in den Countys Humboldt und Sonoma liess er sich schliesslich in Ferndale (ca. 300 km nördlich von San Francisco) nieder, und kaufte dort 1897 eine eigene Farm mit Obst- und Weinbau. Der Grund für die Wahl dieses Ortes lässt sich im eingangs zitierten Nachruf finden: Schnider war Patient einer offenbar bekannten Mrs. Preston. Dank dieser Information eröffnet sich ein neuer, bisher unbekannter Aspekt im Leben Schniders: Aus seinen Briefen geht, wie bereits erwähnt, hervor, dass er immer wieder mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen hatte. Dies hat ihn offenbar dazu veranlasst, sich der Gemeinschaft um die charismatische Emily Preston anzuschliessen. Diese hatte als spirituelle und «medizinische» Mentorin nach 1885 die Kolonie Preston als religiöses und therapeutisches Zentrum gegründet und bis zu ihrem Tod 1909 geleitet. Ihre Erfolge in der Behandlung verschiedenster Krankheiten führten dazu, dass sich immer mehr Leute für eine Behandlung an sie wandten, was wesentlich zum Wachstum und zur Prosperität des Ortes beitrug. Zu diesen Ratsuchenden gehörte nun offenbar auch Josef Schnider. wie denn auffälligerweise viele alleinstehende Männer die Hilfe Prestons suchten. Er muss eine enge Beziehung zu Emily Preston entwickelt haben, dass er sich entschloss, in ihrer Nähe zu bleiben und eine eigene Farm in der Umgebung ihres Wohnorts zu kaufen. Diesen Hintergrund erwähnt Schnider in seinen Briefen allerdings nicht, wohl auch deshalb, weil er sich auch in religiöser Hinsicht Preston und ihrer «Church of the Covenant» angeschlossen hatte. Beim Begräbnis Prestons fungierte Schnider als Sargträger; er wurde dabei als Mitglied der Kirche bezeichnet.
Die Sesshaftigkeit Schniders sollte aber schon bald wieder ein Ende finden: Bereits am 12. Februar 1898 verliess er Kalifornien, um sich im Alaska als Goldsucher zu betätigen. Den letzten erhaltenen Brief schickte er im Oktober 1901 aus Dawson in Kanada; den Aufenthalt in Alaska (St Michael, Northern District) beweist seine Erwähnung in der Bevölkerungszählung von 1900. Um 1903 muss er wieder nach Kalifornien zurückgekehrt sein, und 1904 erwarb er das Bürgerrecht der USA.
Danach blieb Schnider in der Gegend von Preston bzw. Cloverdale, wo er in der Bevölkerungszählung von 1910 belegt ist.
In derselben Zeitung, die den Nachruf publizierte, erfolgten vom 10. Januar bis zum 7. Februar 1930 mehrere Schuldenrufe durch Fred Young, den Nachlassverwalter Schniders. Durch Gerichtsbeschluss vom 14. Februar wurde die Liegenschaft zum Verkauf an den Höchstbietenden ausgeschrieben, und aus einer Notiz vom 4. April 1930 geht hervor, dass Chris Johnson aus Preston, ein Nachbar Schniders, das Land gekauft hatte, um einen Campingplatz und eine Tankstelle zu einzurichten. Wem der Erlös des Verkaufs zukam, wissen wir nicht.
An Josef Schnider, den Luzerner Auswanderer nach Amerika, erinnert noch sein Grabstein auf dem Friedhof von Cloverdale.
Quellen:
Stefan Jäggi: Briefe eines Entlebuchers aus Nordamerika, 1882-1901, in: Blätter für Heimatkunde aus dem Entlebuch 62 (1995)
Stefan Jäggi: Josef Schnider, Auswanderer aus dem Entlebuch nach Amerika (1854-1929), in: Mitteilungsblatt der Zentralschweizerischen Gesellschaft für Familienforschung 56 (Sept. 2022)
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